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18.07.2025

Frühere Regelung zur Arzneimittelpreisbindung: Auf im EU-Ausland ansässige Versandapotheke nicht anwendbar

Die in § 78 Absatz 1 Satz 4 des Arzneimittelgesetzes in der bis zum 14.12.2020 geltenden Fassung (AMG a.F.) vorgesehene Arzneimittelpreisbindung ist gegenüber Versandapotheken, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässig sind, nicht anwendbar. Daher kann die seinerzeit erfolgte Gewährung von Bonusprämien bei der Ausgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch eine in den Niederlanden ansässige Versandapotheke nicht als unlauter verboten werden, wie der Bundesgerichtshof (BGH) klarstellt.

Der Kläger ist ein Verband, der die berufsständischen Interessen der in Bayern ansässigen Apotheker vertritt. Die Beklagte ist ein in den Niederlanden ansässiges Pharmaunternehmen. Sie reimportierte in den Jahren 2012 und 2013 verschreibungspflichtige Medikamente, die ihr von deutschen Pharmagroßhändlern geliefert wurden, indem sie diese nach Einreichung einer entsprechenden ärztlichen Verschreibung per Post an in Deutschland ansässige Patienten abgab.

Die Beklagte warb zum einen damit, Patienten bei der Einlösung eines Rezepts einen direkt mit dem Rechnungsbetrag verrechneten Bonus in Höhe von drei Euro pro Medikament, insgesamt aber höchstens neun Euro pro Rezept, zu zahlen. Zum anderen warb sie damit, bei der Einlösung eines Rezepts eine Prämie in einer Höhe von bis zu neun Euro zu zahlen, wenn der Patient sich bereit erklärte, durch Ausfüllen eines Formulars oder durch Beantwortung von Fragen im Rahmen eines Telefonats einen Arzneimittel-Check zu absolvieren.

Der Kläger ist der Auffassung, die Gewährung von Boni verstoße gegen die Arzneimittelpreisbindung und sei wettbewerbswidrig. Er nimmt die Beklagte auf Unterlassung sowie auf Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage erfolgreich weiter.

Das Berufungsgericht habe zwar zutreffend angenommen, so der BGH, dass die von der Beklagten gewährten Boni als unmittelbarer Preisnachlass auf den eigentlichen Apothekenabgabepreis gegen § 78 Absatz 1 Satz 4, Absatz 2 Satz 2 AMG a.F. und §§ 1 Absatz 1 Nr. 2, 3 Absatz 1 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) verstoßen. Das Berufungsgericht habe jedoch zu Unrecht einen hiermit verbundenen Verstoß gegen § 4 Nr. 11 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) a.F. sowie § 3a UWG angenommen. Denn die genannten früheren Regelungen zur Arzneimittelpreisbindung seien wegen Verstoßes gegen die Warenverkehrsfreiheit (Artikel 34, 36 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU – AEUV) unionsrechtswidrig und daher gegenüber der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Beklagten nicht anwendbar.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache "Deutsche Parkinson Vereinigung" vom 19.10.2016 (C-148/15) stelle die in § 78 Absatz 1 Satz 4 AMG a.F. vorgesehene Arzneimittelpreisbindung eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne des Artikel 34 AEUV dar. Zur Rechtfertigung einer solchen Maßnahme wegen des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen (Artikel 36 AEUV) sei mithilfe statistischer Daten, auf einzelne Punkte beschränkter Daten oder anderer Mittel objektiv zu prüfen, ob die vorgelegten Beweise bei verständiger Würdigung die Einschätzung erlauben, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung der verfolgten Ziele geeignet sind, und ob es möglich ist, diese Ziele durch Maßnahmen zu erreichen, die den freien Warenverkehr weniger einschränken.

Der Kläger habe keine solchen Daten oder andere Mittel zum Beweis seiner Behauptung vortragen können, dass ohne die Arzneimittelpreisbindung die Aufrechterhaltung einer sicheren und flächendeckenden Arzneimittelversorgung und deshalb die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet sei. Empirische Daten zu den Auswirkungen einheitlicher Apothekenabgabepreise auf die flächendeckende, sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung seien nach der durch das Berufungsgericht eingeholten Auskunft der Bundesregierung nicht erhoben worden. Die von den Parteien vorgelegten Gutachten, Studien und Modellierungen bezögen sich sämtlich nicht auf den im Streitfall maßgeblichen Zeitraum der angegriffenen Rabattaktionen aus dem Jahr 2012 und stützten auch für die Folgejahre die Annahmen des Gesetzgebers zur Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit einer Arzneimittelpreisbindung nicht. Diese Annahmen des Gesetzgebers habe schon der EuGH im Urteil "Deutsche Parkinson Vereinigung" als nicht hinreichend belegt angesehen.

Auf die Frage, ob die von der Beklagten gewährten Boni – wie vom Berufungsgericht angenommen – gegen § 129 Absatz 3 Satz 3 Sozialgesetzbuch V verstoßen, komme es danach nicht mehr an. Mangels Verstoßes gegen § 4 Nr. 11 UWG a.F. sowie § 3a UWG in Verbindung mit § 78 Absatz 1 Satz 4, Absatz 2 Satz 2 AMG a.F. fehle es an der Wiederholungsgefahr, schon deshalb sei die Klage abzuweisen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.07.2025, I ZR 74/24